Kleiner Einstieg in die Thematik der Funktionalen Sicherheit

Andreas Schunkert • 7. Oktober 2024

Funktionale Sicherheit ist ein entscheidender Aspekt in der Entwicklung sicherheitskritischer Systeme, insbesondere in Branchen wie Automobil, Luftfahrt und Maschinenbau. Sie bezieht sich auf die Fähigkeit eines Systems, sicher zu funktionieren, selbst in der Präsenz von Störungen oder Fehlfunktionen. Ein zentrales Konzept in diesem Kontext ist der Performance Level (PL), der sowohl die erforderlichen Sicherheitsanforderungen als auch die tatsächliche Sicherheitsleistung eines Systems beschreibt.

Performance Level Required (PLr)


Ermittlung des PLr

Der Performance Level Required (PLr) wird durch eine umfassende Risikoanalyse ermittelt. Dieser Prozess umfasst mehrere Schritte:


  • Identifikation von Gefahren: Zunächst müssen alle potenziellen Gefahren identifiziert werden, die mit dem System verbunden sind. Dies beinhaltet sowohl mechanische als auch elektrische Gefahren. Eine gute Hilfestellung, welche Gefahren alle betrachtet werden sollen, bietet der Anhang I der Maschinenrichtlinie mit den darin enthaltenen Allgemeinen Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen.


  • Risikoabschätzung: Jede identifizierte Gefahr wird hinsichtlich der Schwere einer möglichen Verletzung beim Eintritt, der Häufigkeit und der Möglichkeit der Vermeidung bewertet. Hierbei kommen Methoden wie die Fehlerbaumanalyse (FTA) oder die Gefährdungsanalyse (HAZOP) zum Einsatz.


  • Klassifizierung: Basierend auf der Risikoabschätzung wird der PLr in eine der Kategorien (PLa bis PLe) eingestuft, wobei PLa die niedrigste und PLe die höchste Sicherheitsanforderung darstellt. Die Einstufung erfolgt nach den Kriterien der Normen wie ISO 13849 oder IEC 61508, wobei letztere statt eines Performance Levels (PL) einen Safety Integrity Level (SIL) beschreibt.


  • Anforderungen an die Sicherheitsfunktionen: Der PLr legt fest, welchen Performance Level die implemetierten Sicherheitsfunktionen aufweisen müssen, um die identifizierten Risiken ausreichend zu minimieren.


Tatsächlicher Performance Level (PL)


Berechnung des PL

Nachdem der PLr definiert wurde, muss der tatsächliche Performance Level (PL) des Systems ermittelt werden. Dies geschieht durch die Bewertung der implementierten Sicherheitsfunktionen und ihrer Wirksamkeit:


  • Analyse der Sicherheitsfunktionen: Zunächst müssen die Sicherheitsfunktionen, die zur Erfüllung des PLr implementiert wurden, detailliert analysiert werden. Dazu gehört die Betrachtung der Funktionsweise, der Redundanz (des Aufbaus der Sicherheitsfunktion) und der Zuverlässigkeit der Systeme.


  • Bestimmung der Sicherheitsmerkmale: Jedes System hat spezifische Sicherheitsmerkmale, wie Fehlertoleranz, Diagnosefähigkeit und die Möglichkeit zur Fehlererkennung. Diese Merkmale werden quantifiziert, um die Leistungsfähigkeit der Sicherheitsfunktionen zu bewerten.


  • Berechnung der Sicherheitswerte: Anhand von statistischen Daten und Erfahrungswerten wird die Wahrscheinlichkeit von Fehlfunktionen ermittelt. Diese Werte fließen in die Berechnung des PL ein. Die Berechnung erfolgt typischerweise durch die Formel:


PL = f(MTTFd, SFF, DC)

 

Hierbei stehen MTTFd (Mean time to failure dangerous), SFF (Safe Failure Fraction) und DC (Diagnostic Coverage) für die relevanten Parameter zur Berechnung der Sicherheitsleistung.


  • Überprüfung und Validierung: Der berechnete PL muss mit dem PLr abgeglichen werden. Wenn der PL den Anforderungen des PLr entspricht oder diese übersteigt, gilt das System als sicher. Andernfalls sind weitere Maßnahmen erforderlich.


Fazit


Die funktionale Sicherheit ist ein komplexes, aber essentielles Konzept, das eine systematische Herangehensweise zur Identifizierung, Bewertung und Minimierung von Risiken erfordert. Die korrekte Ermittlung des Performance Level Required (PLr) und die anschließende Berechnung des tatsächlichen Performance Levels (PL) sind entscheidend, um die Sicherheit von Systemen zu gewährleisten. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie die richtigen Methoden und Normen anwenden, um die Sicherheit ihrer Produkte und Systeme zu garantieren.

 

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2004 und damit vor fast 20 Jahren wurde der erste kollaborative Roboter, der LBR 3 verkauft. Da sollte man doch meinen, dass wir heute im Jahr 2023 kollaborative Roboter sicher einsetzen können und es umfängliche Regeln gibt, welche den Einsatz in den unterschiedlichsten Applikationen genau definieren. Leider ist es jedoch nicht ganz so. Zwar wurde 2016 (12 Jahre nach dem ersten Cobot auf dem Markt) die ISO TS 15066, mit Regeln für die Anwendung von kollaborativen Roboterapplikationen, veröffentlicht. Jedoch unterscheidet diese in ihrer Betrachtung nicht wirklich Applikationen bei denen ein Cobot tatsächlich 24/7 Seite an Seite mit einem Mitarbeiter zusammen arbeitet und solche Anwendungen, bei denen der Roboter zwar ohne Schutzzaun arbeitet aber eigentlich weit und breit kein Mitarbeiter in der Nähe ist. Schaut man in die ISO 12100 - Sicherheit von Maschinen - Risikobeurteilung und Risikominderung, so findet man dort, dass sich das Risiko aus den Faktoren "Schwere der möglichen Verletzung" und der "Wahrscheinlichkeit des Auftretens" zusammen setzt. Im letzteren Faktor sind die Aufenthaltsdauer im Gefahrenbereich, die Frequenz mit der man in den Gefahrenbereich eintritt und die Möglichkeit der Vermeidung des Schadens inkludiert. Schaut man nun in die ISO TS 15066, so findet sich dort in der Anlage A eine Auflistung an Kräften und Drücken welche den Schmerzeintritt definieren. Diese Werte werden nun seit Jahren für alle kollaborierenden Applikationen gleicher-maßen heran gezogen und als Obergrenze gesetzt. Ganz gleich ob die Applikation eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Kollision zwischen Mensch und Roboter aufweist, da sich ein Mitarbeiter im normalen Arbeitsprozess ständig in der Nähe des Roboters aufhält, oder ob die Wahrscheinlichkeit eher gering ist, da der Cobot für sich alleine arbeitet und nur alle paar Stunden mal ein Mitarbeiter vorbei schaut und z.B. ein neues Tray bei einer Maschinenbeladung einlegt. Das Betrachten beider Applikationen mit den gleichen Maximalwerten für Kraft und Druck kommt mit Hinblick auf die oben beschriebene Ermittlung des Risikos nach ISO 12100 dem berühmten Vergleichen von Äpfel und Birnen gleich! Nehmen Sie einmal an, sie bewerten die Klemmung einer Hand nach der oben genannten ISO TS 15066. Nachfolgend ist hierzu ein Auszug aus der Anlage 1 dargestellt. Wie Sie sehen, wird hier die maximale Kraft mit 140N für eine Klemmung und einem transienten Faktor von 2 beziffert. Der transiente Faktor bezieht sich dabei auf eine zulässige Überhöhung in den ersten 0,5 Sekunden. Es dürfte so also bei einer Messung in einer Applikation 280N in den ersten 0,5 Sekunden auftreten und 140N nach 0,5 Sekunden. Liegt einer der beiden gemessenen Werte über diesen Werten so wäre die Applikation nach dieser Technischen Spezifikation (TS) als nicht sicher zu bewerten.